Zu den Akten?

stefan am 14. Juni 2001 um 02:41 Uhr

Zu den Akten? So schnell?
Mir geht es nicht darum, die Terrorakte einzelner Palästinenser zu verteidigen. Es ist immer schlimm, wenn Menschen sterben oder verwundet werden, nur weil zwei Völker sich nicht einigen können. Aber die Vehemenz und Naivität, mit der Peter Praschl hier die PLO verdammt, ist doch erstaunlich:

Zu den Akten. Ein Waffenstillstand zwischen einer israelischen Regierung und den palästinensischen Autonomiebehörden kann nicht mehr sein als ein Arrangement zwischen einer den üblichen Standards folgenden Regierung und einer Bande völkischer Gangster.

Was meint Herr Praschl denn mit den üblichen Standards, denen die israelische Regierung folgt? Ist es die Vergeltung von Attentaten durch den Einsatz von Mörsern, Granaten, Raketen und Jagdbombern? Ist es der von der israelischen Armee eingesetzte gezielte Schuss auf den Oberkörper eines Steinewerfers? Die Abriegelung eines ganzen Volkes von Beruf, Uni und Familie?

Wen meint Herr Praschl mit der Bande völkischer Gangster? Verwechselt er hier nicht, wie viele, die PLO, die die gewählte Regierung der palästinensischen Autonomiebehörden stellt, mit der Intifada, der Hisbollah oder der Hamas?
Die PLO hat sich noch in den achtziger Jahren für einen Gewaltverzicht ausgesprochen. Gerade deshalb hat sich ja die Hamas gebildet, die diesen Gewaltverzicht nicht akzeptieren konnte. Die Mehrheit der Palästinenser unterstützt die PLO und gerade nicht die Hamas. Die Hamas mag im Libanon und in Syrien Camps führen, in denen Palästinenser zum bewaffneten Kampf ausgebildet werden, die Hamas mit der PLO aber gleichzusetzen und die Autonomiebehörden als Bande völkischer Gangster zu bezeichnen, zeugt nur von Unkenntnis.

Es gibt nun mal, obwohl das in Deutschland fast keiner mehr wahrnimmt, einen fundamentalen Unterschied zwischen der israelischen Administration und den Leuten Arafats: Arafat ist erst unter Androhung von Zwang dazu bereit gewesen, ein paar antisemitische Killer festnehmen zu lassen (um sie bei Bedarf wieder zu entlassen);

Wenn die israelische Regierung nur bereit ist, über Waffenstillstand oder Frieden zu reden, wenn die palästinensische Regierung bestimmte Menschen festnimmt, ist das rechtlich unglaublich. Die Forderung, zunächst einmal Menschen festnehmen zu lassen und dann erst zu schauen, ob diese Menschen tatsächlich eine Straftat begangen haben, stellt meiner Meinung eine Forderung zum Verstoß gegen die Genfer Menschrechtskonvention dar, auf die sich Herr Praschl im Falle eines Falles wahrscheinlich auch berufen möchte. Es kann nicht angehen, Menschen festzunehmen, ohne dass geklärt ist, dass gegen sie zumindest ein Anfangsverdacht vorliegt. Gegen diesen Grundsatz verstößt, wer einfach beschließt, diese, diese und diese Person ist festzunehmen. Das ist reine Willkür und mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar.

etwas auch nur annähernd Vergleichbares hat es in Israel nie gegeben,

(Nein, Israel hat nie Israelis auf Drängen der Palästinenser festgenommen)

nicht von staatlicher Seite (und es macht sehr wohl einen Unterschied, ob Verrücktheit staatliches Programm und gesamtgesellschaftliche Ideologie, also etwas Allgemeines - oder eben schiere Verrücktheit, also partikular ist).

Ja, es ist ein Unterschied, ob man staatlich organisiert Gewalt (und wir reden hier, wie gesagt, vom Einsatz von Jagdbombern und Panzern) ausübt, oder ob eine Regierung einzelne Terroristen nicht unter Kontrolle hat. Israel befiehlt den Einsatz von Gewalt, die Palästinensischen Autonomiebehörden haben nicht zur Gewalt aufgerufen. Dass staatlich organisierte Gewalt effektiver und schlimmer sein kann, als terroristische Einzelakte, dürfte auch Herr Praschl gelernt haben. Nicht ohne Grund sind fünf von sechs der seit September 2000 Getöteten Palästinenser.

Selbst wenn man (wie ich) Staaten aus prinzipiellen Gründen noch nie etwas Gutes zugetraut hat, weiß man, dass eine prinzipielle Differenz zwischen dem bürgerlichen Staat und der Horde, der Rotte, der Gang existiert.

Ein niedliches Staatsverständnis. Zwar macht Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt einen Staat zu einem Staat. Das alles sagt aber noch nichts darüber aus, ob dieser Staat ein Rechtsstaat oder gar ein gerechter Staat ist.
Und wieder die Horde, die Rotte, die Gang. Das palästinensische Volk ist völkerrechtlich anerkannt. Und dieses Volk hat sich eine Regierung gegeben. Dass dieses Volk noch keinen Staat hat, liegt ja aber hauptsächlich daran, dass Israel nicht bereit ist, diesem Volk ein Staatsgebiet zukommen zu lassen. Wohlgemerkt, die meisten Palästinenser in Israel können nicht einmal israelische Staatsbürger werden, weil Israel diesen Palästinensern diese Staatsangehörigkeit verwehrt. So sind die meisten Palästinenser in Israel Staatenlose und haben daher nicht einmal die Möglichkeit, zum Beispiel durch Teilnahme an Wahlen, in Israel ihren politischen Willen zum Ausdruck zu bringen.

Wer diese Differenz - und den geschichtlichen Fortschritt, den sie markiert, nicht wahrhaben will, wird seine Gründe dafür haben; ich habe meine Gründe, nichts mit Leuten zu tun zu haben wollen, (lässt hier Ulf Poschardt grüßen?) die noch nicht einmal die Prinzipien des Bürgerlichen verteidigen wollen, zu dem (hier auch?) sie sich sonst permanent bekennen.

Ein äußerst liberales Geschichtsverständnis steht hinter dieser Aussage. Glaubt Herr Praschl wirklich immer noch, dass Fortschritt immer etwas Gutes ist? Wie gesagt, ein Staat an sich, nur weil er Gebiet, Volk und Macht hat, ist noch nichts Besseres als eine Horde etc. Besser wird er erst dadurch, dass er ein Rechtsstaat wird, in dem jeder Bürger vor staatlicher Willkür geschützt ist.

Wer für die PLO Sympathien empfindet, ist ein Reaktionär.

Aha!?


Mit Reaktionären befasst man sich als anständiger Mensch nur, wenn man muss, man bekämpft sie, und wenn man das nicht kann, ekelt man sich vor ihnen.

Tun Sie das Herr Praschl!

2 Kommentare zu “Zu den Akten?”

  1. Praschl,

    hai,ich werde darauf nächste woche ausführlich antworten. ein bloßes retour-bashing macht ja keinen sinn, und für die entfaltung meiner argumente (die ganz und gar nicht naiv sind), fehlt mir gerade die zeit.

    beim ersten poschardt-gruß hast Du natürlich recht (touch?. auch wenn ich mich nur vertippt habe und kein wiederholungstäter bin und bei mir niemand mehr draufguckt, in der wams aber schon. aber treffer ist treffer). beim zweiten poschardt gruß hingegen bin ich ohne schuld: das “bürgerliche, zu dem sie sich bekennen” ist exakt das, was ich sagen wollte. eben nicht: “prinzipien des bürgerlichen, zu denen sie sich bekennen”.

  2. stefan,

    “naiv” mag etwas unfair gewesen sein. beim zweiten poschardt war ich mir auch nicht sicher, deshalb habe ich dort den link weggelassen.
    Ich bin gespannt auf deine antwort.

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