völkerrecht

stefan am 8. November 2001 um 08:25 Uhr

Doch noch etwas Grundsätzliches zum Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan:
Es besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen dem Einsatz deutscher Truppen gegen Jugoslawien und einem eventuellen Einsatz derselben in Afghanistan. Während der Einsatz der Truppen gegen Jugoslawien durch eine UNO-Resolution legitimiert waren (Ich bin kein grundsätzlicher Pazifist, es müssen nur bestimmte Regeln bei Gewalteinsätzen eingehalten werden, und die UNO scheint mit momentan das einzige Organ zu sein, das solche Einsätze legitimieren kann.), ist ein Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan bislang völkerrechtswidrig.
Dabei ist zunächst die Völkerrechtswidrigkeit der Einsätze der USA zu klären, da sich daran die Beteiligung deutscher Truppen, als Nato-Partner der USA, messen lassen müsste.

Grundsätzlich besteht zwischen Staaten nach dem allgemeinen Völkerrecht und der UN-Charta ein Gewaltverbot. Von diesem gibt es lediglich zwei Ausnahmen:
1. es besteht ein UNO-Mandat nach Art.42 (Kap.7) UN-Charta,
2. Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta.

zu1.
Ein UNO-Mandat ist gegeben, wenn der Sicherheitsrat einen Staat oder eine Gruppe von Staaten (z.B. Nato) autorisiert, Gewalt gegen ein Drittland anzuwenden. Eine Mindermeinung geht davon aus, dass für den Einsatz der amerikanischen Truppen ein solchen UN-Mandat (I. (pdf)) und (II. (pdf)) vorliege.
In der UNO-Resolution zum 11.09.2001 heißt es: “…states shall take all necessary steps to prevent acts of terrorism…”. Nach der Mindermeinung ist hierin bereits ein Mandat zum Gewalteinsatz gegeben. Diese Resolution spricht aber keine Autorisierung zum Einsatz militärischer Kräfte aus. Es ist die Rede von “prevent”. Ganz anders als beim Einsatz amerikanischer Truppen im Golfkrieg. Damals hieß es in der UNO-Resolution: “…UNO authorizes to use all necessary means….”. Nirgends ist heute die Rede von einem Angriff auf Afghanistan. Genannt werden ledigllich die Verantwortlichen für den Terrorismus.
Ein Mandat zum Angriff auf Afghanistan liegt nicht vor.

zu2. Bleibt die Selbstverteidigung. Dies wird auch von den meisten Befürwortern des Angriffs auf Afghanistan angeführt.
Das Recht auf Selbstverteidigung besteht dann, wenn ein bewaffneter Angriff eines anderen Staates auf den eigenen Staat vorliegt. Dies ist aber bei Afghanistan nicht der Fall. Nicht Afghanistan, sondern die Al Quaida (wenn überhaupt) haben Ziele in den USA angegriffen. (Dabei spielt übrigens das WTC eine geringere Rolle als das Pentagon, da es sich lediglich beim Pentagon um ein Regierungsgebäude handelt, also einen Angriff auf einen Staat darstellt.)
Es liegt also zunächst kein Angriff eines anderen Staates vor.
Nun gibt es im Völkerrecht durchaus die Rechtsfigur der Zurechnung, wonach einem Staat auch das Handeln von nichtstaatlichen Akteuren zugerechtnet werden kann. Dafür bestehen aber zurecht strenge Voraussetzungen. Die Duldung der Akteure im eigenen Land allein reicht keinesfalls. Da eine aktive Unterstützung der Al Quaida bei den Angriffen auf das WTC oder das Pentagon durch Afghanistan bisher nicht nachweisbar ist, können Afghanistan die Angriffe nicht zugerechnet werden. Es besteht somit bislang kein Selbstverteidigungrecht der USA. (Als Israel sich beim Angriff auf die PLO in Tunis aus ähnlichen Gründen darauf berief, wurde dieser Angriff ebenfalls als völkerrechtswidrig verurteilt.)

Zu Deutschland:
Deutschland wurde selbst nicht angegriffen. Nach Art. 5 des Nato-Vertrages ist allerdings in dem Falle eines Angriffs auf einen Nato-Staat dieser Angriff als Angriff auf alle Nato-Staaten zu sehen. Somit entsteht auch die Möglichkeit eines kollektiven Selbstverteidigung.
Dies ist aber eben nur gegeben, wenn ein Angriff auf einen Staat vorliegt. Davon ist aber, wie oben gezeigt, nicht auszugehen.

Wenn nun Schröder aber von einem Angriff auf die USA ausgeht, (nochmal: Ich denke nicht, dass ein solcher Angriff iSd. Nato-Vertrages vorliegt) ist seine Haltung zur kollektiven Selbstverteidigung nur konsequent.
Allerdings ist eine Generalermächtigung vom Bundestag, wie Schröder sie im Moment anstrebt, verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat unter anderem in seinem AWACS-Urteil festgestellt, dass es bezüglich deutscher Auslandseinsätze einen konstitutiven Parlamentsvorbehalt gibt. Grundsätzlich ist die Bundeswehr ein Parlamentsheer. Ein Einsatz der Bundeswehr muss danach vom Bundestag beschlossen werden. Es muss also jedesmal ein spezieller Beschluss der Parlaments vorliegen. Damit das Parlament einen Einsatz beschließen kann, muss vorher geklärt sein, wo der Einsatz stattfinden wird, wer daran beteiligt sein wird, wie lange der Einsatz dauern wird und wann der Einsatz stattfindet.

Etwas anderes gilt nur im Verteidigungs- oder im Spannungsfall. Dann ist der Kanzler oberster Befehlshaber. Ein Verteidigungs- oder Spannungsfall liegt aber unstreitig nicht vor.

6 Kommentare zu “völkerrecht”

  1. kris,

    kannst du das an kanzler@bundestag.de mailen?

  2. stefan,

    können könnt ich. hab das aber nur so auf die schnelle geschrieben und müsste es nochmal wasserdicht machen. und ich hab so wenig zeit. außerdem hilft’s wenig glaub’ ich. ich dürfte ja nich mal ne verfassungsbeschwerde vorbringen, es sei denn schröder will mich nach afghanistan schicken. die pds wird’s schon richten.

  3. stefan,

    meine völkerrechtlerin!

  4. Julia,

    herzlichen Glückwunsch, gute und präzise Darstellung der Dinge, wenn jemand die Debatte amerikanischer Völkerrechtler (und da sehen wir wiedermal, wie politisch das Recht allgemein ist) verfolgen will, der kann das bei der American Society of International Law unter http://www.asil.org/insights.htm.

  5. boris,

    Schön mal was zum Völkerrecht zu lesen.

    Allerdings eine kleine Anmerkung nach dem ersten Lesen:

    Ein Angriff liegt nicht erst vor, wenn es ein Regierungsgebäude erwischt hat.
    Es “genügt”, wenn es das Staatsterritorium bzw. das Staatsvolk erwischt hat.
    Ist doch logisch:
    Andernfalls könnte man ja alle Zivilisten totbomben, solange man aufpasst, dass es nichts “Offizielles” erwischt.
    Zum Staat gehören seine Bürger.
    Das WTC würde also ausreichen.

    Aber: Es herrscht, wie gesagt, ein allgemeines Gewaltverbot.
    Und das zu Afghanistan Gesagte ist absolut richtig.

    a) Wo sind die Beweise?
    b) Wie erklärt man sich den Unterschied zwischen self-defense und retaliation?

    c)Kann man in der Beherbergung von Terroristen nach einer Tat einen ausreichenden Grund sehen, diesen Staat für die Tat verantwortlich zu machen und einen Krieg gegen ihn zu gestatten?

    Was ist nur aus den Grundsätzen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit geworden??

    Fragen, über die in Deutschland anscheinend niemand redet, die aber für die Frage der Legitimität einer Bombardierung Afghanistans unter der Fahne der Terrorismusbekämpfung entscheidend sind.

    (Ich kann mich irren, denn ich sitze zZ in Singapur und kann nur über das Internet verfolgen, was in Deutschland so los ist.
    Wenn ihr mich eines besseren belehren könnt - ich wäre erleichtert.)

    Gruss,

    Boris

  6. johannes,

    bin grundsätzlich auch gegen den einsatz in afghanistan.

    nur muss man das tatsächlich etwas “wasseerdichter” begründen.

    das mit dem wtc ist mir wie boris aufgefallen.

    ne zweite sache ist, daß ein angriff im völkerrechtlichen sinne nicht nur dann, vorliegt, wenn ein staat im ursprünglichen sinne angreift, sondern auch, wenn das terroristische gruppen tun, mit denen ein staat maßgeblich was zu tun hat, vgl. un-res 3314 von 1974.

    gruß,
    Johannes


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