Geißbock Deidesheim

stefan am 5. Juni 2001 um 03:49 Uhr

Und dann gab es und gibt es da noch die traditionelle Geißbockversteigerung in meinem kleinen Heimatort. Immer am Pfingstdienstag strömen die Menschen von Hamburg bis München in dieses kleine Örtchen, um eben dieser Versteigerung beizuwohnen. So auch just zur Stunde. Der Brauch geht auf die Begebenheit zurück, dass Deidesheim, das kleine Örtchen, einem noch kleineren Nachbarörtchen Anfang des 15. Jahrhunderts ein Stück Land überließ, auf dem die Bewohner dieses noch kleineren Örtchens ihre Ziegen, Kühe, Schweine und was sonst noch muht, bellt, kräht und schmeckt, weiden durften.
Der Pachtzins war vergleichsweise gering. Einmal im Jahr, nämlich am Pfingstdienstag, musste das jüngste Ehepaar des noch kleineren Örtchens, einen Geißbock an die Stadtgrenze Deidesheims bringen, wo die Honoratioren Deidesheims, und davon gab’s immer ne Menge, das possierliche Tierchen in Empfang nahmen und höchstbietend versteigerten. Der Bock musste natürlich bestimmten Maßstäben genügen. So musste er “stets gut gehörnt und gut gebeutelt”, ihr wisst schon, was gemeint ist, sein. Und dies wurde sorgsam überprüft. Um 1840 wurde denn auch ein Bock an das noch kleinere Örtchen zurückgegeben, weil der Bock kein guter Bock, sondern fast ein Hammel war. Nach langem Rechtsstreit wurde das noch kleinere Örtchen dazu verurteilt, Deidesheim einen neuen, besser gebeutelten Bock zu übergeben.
Überprüft wird das immer noch. So zwängen sich die heutigen Deidesheimer Honoratioren, und davon gibt’s immer noch ne Menge, in Gewänder des 15. Jahrhunderts und prüfen den Bock auf Horn und Beutel.
Als Kinder hatten wir am Pfingstdienstag soweit ich mich erinnere schulfrei, schauten dem Beutelprüftreiben zu, wie die Kostümierten sich hinter das Böckchen knieten und ihm zwischen die Beinchen griffen, und wir johlten. Einmal stellte sich ausgerechnet in diesem spannendsten Moment ein Kameramann vom Südwestfunk vor mich hin und fing an sein Stativ aufzubauen, die Kamera anzuschrauben und nach den besten Bildern zu suchen. Ich konnte nichts mehr sehen und angestachelt von meinen Schulfreunden, aufgewühlt von den rustikalen Schauspiel der Bockprüfung, in einem Anflug von Medienkritik, gepaart mit einem kindlichen Anarchismus, trat ich dem Kameramann in den Hintern. (Vielleicht war’s einfach auch nur Ungezogenheit und die Feigheit ihn zu bitten, sich woanders hinzustellen.) Der Kameramann jedenfalls verlor seine Bilder und kurz darauf die Fassung, schaute mich einen Moment entgeistert an und gab mir dann, wohl ebenfalls vom Geiste des Schauspiels inspiriert, zur Belustigung meiner Schulfreunde und zu meiner Schmach, eine derbe Ohrfeige.
An diesem Beispiele sehet man, wohin das Brauchtumb die Menschen bringet.

2 Kommentare zu “Geißbock Deidesheim”

  1. roland,

    Luther-Zitat?

    Die Parallele Bock, Bockigkeit, erwachende Pubertät hättest Du ruhig noch ein bisschen ausbauen können. Trotzdem :-)

  2. Inge,

    ich würde sagen ganz schön gemein dieser Herr Kameramann. Da hätte er wohl zur Versteigerung etwas früher kommen sollen um einen besseren Platz zu ergattern und sich nicht mitten in der Menge hinstellen zu müssen.

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