Mellum 01
stefan am 23. November 2004 um 08:37 UhrDa ich kürzlich einige alte Fotos scannte und Herr Lewis meinte, ich solle die Geschichte unbedingt mal posten, erscheint hier eine Erinnerung aus meiner Zivildienstzeit:
Ich leistete meinen Zivildienst beim Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven ab. Der Dienst bestand im Winterhalbjahr aus der Auswertung biologischer Proben, die auf der Insel Mellum gesammelt worden waren. Das Sommerhalbjahr verbrachte ich dann auf Mellum selbst mit Vogelbeobachtungen, dem Sammeln ebensolcher Proben, die mein Nachfolger im folgenden Winter auszuwerten hatte, und, wie man links sieht, mit vielem anderen.
Das Winterhalbjahr war dementsprechend stinkelangweilig. Die Trockenmassebestimmung des Wattbodens oder irgendwelcher Schlickwürmer rockt nun wirklich nicht. Dabei war meine Aufgabe noch nicht einmal die eigentliche Trockenmassebestimmung. Meine Aufgabe bestand darin, Aluminiumfolie zu kleinen Tütchen zu falten, in denen der Wattboden und die Schlickwürmer in den Trockenofen geschoben wurden. Die Trockenmassebestimmung wurde dann von Julia W. vorgenommen, einer witzigen Wilhelmshavener Punkerin, die beim Institut ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr versah und sich genauso langweilte wie ich. Glaubt mir, das Falten von Alu-Tütchen zur Trockenmassebestimmung von Wattboden oder Schlickwürmern rockt noch weniger als die Trockenmassebestimmung selbst.
Jeder Tag aber hatte einen Höhepunkt: Das gemeinsame Frühstück aller Institutsangestellten. Mit dabei auch immer die drei Professoren und Ornithologen des Instituts. Vogelnerds wie sie im Buche stehen. Diese konnten sich unter anderem darüber ereifern, dass der Kranich des Lufthansa-Logos eigentlich kein Kranich, sondern aufgrund der ausgestreckten Beine eindeutig als Reiher zu erkennen sei. Als das erste Sommergoldhähnchen des Jahres gesichtet wurde, flippten sie fast aus. (Scherze wie ‘außer Vögeln nicht im Kopf’ kann ich übrigens seitdem nicht mehr hören.) Aber auch witzige Geschichten, wie die, in der mein Vorgesetzter von einer angriffslustigen Möwe ausgeknockt wurde, waren dabei.
Einer dieser Professoren jedenfalls erzählte die traurige Geschichte, um die es hier eigentlich gehen sollte:
Zum Institut in Wilhelmshaven gehört auch die Vogelstation auf Helgoland. Dort hatte sich ein Jahr vor meinem Zivildienst zum ersten Mal ein Basstölpelpärchen eingefunden, um auf einem kargen Felsen zu brüten. Wer Ornithologen kennt, weiß, wie unglaublich wichtig ein solches Ereignis wie eine Erstbebrütung oder eine Erstentdeckung eines seltenen Vogels ist. Es war die wohl wichtigste Meldung des Jahres.
Basstölpel sind ca. ein Meter große Vögel, die auch recht schwer werden. Tatsächlich legte das Basstölpelweibchen ein Ei, aus dem auch ein gesundes Basstölpelküken schlüpfte und halbwegs flügge wurde. Tragischerweise aber rutsche das halbflügge Küken irgendwann aus und stürzte einige Meter in die Tiefe. Dabei brach es sich den noch unflüggen Flügel, jammerte und schrie und war eigentlich dem Tode geweiht. So ist das mit der Natur, einfach grausam.
Die bis dahin basstölpel-euphorischen Ornithologen bekamen einen großen Schreck. Wenn die Basstoelpel beim ersten Versuch Helgoland zu bebrüten derlei schlimme Erfahrungen machten, waren die Chancen für einen zweiten Versuch im folgenden Jahr natürlich gering. Folglich musste dieser Vogel unbedingt gerettet werden. Aber der Felsen war so steil, dass die Vogelfreunde trotz aller Anstrengungen nicht zum dem verletzten Basstölpeljungen gelangen konnten.
Also blieb nur eins: Man brauchte erfahrene Bergsteiger. Und so wurden drei Mann vom Bayerischen Alpenverein angeheuert, um den Vogel zu retten. Die Aktion gelang und nun hatten die Ornithologen einen verletzten Basstölpel in den Händen. Der gebrochene Flügel wurde geschient und der Vogel über den folgenden Winter aufgepäppelt. Mit viel Liebe und einigen Geldmitteln, soweit ich mich erinnere, kostete die ganze Aktion inklusive Alpenverein ca. 8.000 DM, erholte sich der Basstölpel. Der Flügel verheilte, das Frühjahr kam und eine Woche vor dem Frühstück, bei dem diese Geschichte erzählt wurde, sollte der Vogel wieder in die Freiheit entlassen werden.
Zu diesem Zweck wurde eigens ein Boot gemietet und die gesamte lokale Presse geladen. Der ganze Aufwand sollte sich ja gelohnt haben. Man fuhr also hinaus auf hohe See, wo eine Frau, die ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr ableistete, den Vogel freilassen sollte. Alle waren hoch gespannt.
Unglücklicherweise hatte diese Frau allerdings wohl zu viele Eröffnungsfeiern Olympischer Spiele und nie ‘Bernhard und Bianca’ gesehen. Sie nahm den Basstölpel, der wie gesagt recht groß ist, und warf in vor der versammelten Presse in die Luft in der Erwartung, dass dieser nun fröhlich davonfliegen würde. Aber so ein Basstölpel braucht Schwung zum Fliegen, viel Schwung. Da er diesen nicht hatte, flog der Basstölpel ein, zwei Meter in die Höhe, sank dann abrupt und schlug so unglücklich auf den Planken des Bootes auf, dass er sich das Genick brach und auf der Stelle tot war. Die einzigen Bilder, die in den lokalen Zeitungen gerduckt wurden, waren die der weinenden Freilasserin.
Erstaunlicher Weise waren Julia W. und ich die Einzigen die nach dieser Geschichte vor Lachen fast unterm Tisch lagen. Alle anderen schwiegen betroffen und schauten uns vorwurfsvoll an. Mein Gott, hätte es Julia nicht gegeben, ich wäre in Wilhelmshaven eingegangen.
Übrigens brüten inzwischen wieder einige Basstölpel-Paare auf Helgoland.
Oh man, ich habe gerade die Geschichte des Basstölpels gelesen bzw. vorgelesen bzw. eher vorgelacht und ich hatte Tränen in den Augen!
Kann das denn wirklich passiert sein? Ich kann es kaum glauben.
Ich sitze übrigens gerade in einem Büro in Wilhelmshaven in der Vogelwarte. Ich bin nämlich die derzeitige FÖJlerin von Herrn Becker und ich kann dir sagen, den stinklangweiligen Winter kenne ich auch, aber zum Glück ist er nun vorbei. PUH.
Es war ein ziemlicher Zufall, dass ich auf deine Seite gestossen bin, weil eigentlich habe ich nur nach einem Basstölpelbild gesucht und während ich so die Seite herunterscrolle steht da erstmal Mellum und ich denke: JAAAA, da war ich doch auch schon mal! Die Seehundgeschichte war übrigens auch klasse.
Als ich dann entdeckt hab, dass du sogar Zivi hier warst, war ich gleich noch begeisterter und die Beschreibung des morgendlichen Kaffeetrinkes hat mich auch schon einige Lacher gekostet. Ich hab jetzt ja auch schon die Spezies Ornithologe kennengelernt und das Gespräch über Lufthansa kann man sich SOOOOO gut vorstellen.
Hast du nich noch ein paar so kleine Anekdoten?
Also, vielen, vielen Dank für diese geile Geschichte. Heute ist hier nämlich mal wieder GAR NICHTS los! Die Profs sind nicht da und überhaupt NIEMAND. Schrecklich!
Ornithologische =) Grüße aus der Wilhelmshavener Vogelwarte
Hallo Josi,
haha, freut mich dass dir Geschichten gefielen. So hab ich sie erlebt, oder so wurden sie uns berichtet. Schön, dass man mal hört, wie’s heute so ist.
Anekdötchen gäb’s natürlich noch ne Menge: Der versuchte Fischfang auf Mellum, die Geschichte mit der Nonnengans, den pinkelnden Austernfischern etc. etc.
Aber du wirst ja selbst einiges erleben/erlebt haben. Und es ist bei mir ja auch schon 16 Jahre her. Mannomann!
Gehst du denn auch nach Mellum im Sommer? Wenn ja, vergesst nie, rechtzeitig Toilettenpapier im Hauptquartier zu bestellen. Auch sone Geschichte.
Wir waren eigentlich immer ganz froh, wenn niemand da war. Dann gingen wir ins Museum (naja) oder hörten Musik oder schliefen, und die Trockenmassebestimmung konnte warten. Und mal davon abgesehen, ihr habt’s ja richtig gut, zu meiner Zeit gab’s noch gar kein Internet, mit dem man sich hätte die Zeit vertreiben können.
Grüße nach WHV.