Da ich kürzlich einige alte Fotos scannte und Herr Lewis meinte, ich solle die Geschichte unbedingt mal posten, erscheint hier eine Erinnerung aus meiner Zivildienstzeit:
Ich leistete meinen Zivildienst beim Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven ab. Der Dienst bestand im Winterhalbjahr aus der Auswertung biologischer Proben, die auf der Insel Mellum gesammelt worden waren. Das Sommerhalbjahr verbrachte ich dann auf Mellum selbst mit Vogelbeobachtungen, dem Sammeln ebensolcher Proben, die mein Nachfolger im folgenden Winter auszuwerten hatte, und, wie man links sieht, mit vielem anderen.
Das Winterhalbjahr war dementsprechend stinkelangweilig. Die Trockenmassebestimmung des Wattbodens oder irgendwelcher Schlickwürmer rockt nun wirklich nicht. Dabei war meine Aufgabe noch nicht einmal die eigentliche Trockenmassebestimmung. Meine Aufgabe bestand darin, Aluminiumfolie zu kleinen Tütchen zu falten, in denen der Wattboden und die Schlickwürmer in den Trockenofen geschoben wurden. Die Trockenmassebestimmung wurde dann von Julia W. vorgenommen, einer witzigen Wilhelmshavener Punkerin, die beim Institut ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr versah und sich genauso langweilte wie ich. Glaubt mir, das Falten von Alu-Tütchen zur Trockenmassebestimmung von Wattboden oder Schlickwürmern rockt noch weniger als die Trockenmassebestimmung selbst.
Jeder Tag aber hatte einen Höhepunkt: Das gemeinsame Frühstück aller Institutsangestellten. Mit dabei auch immer die drei Professoren und Ornithologen des Instituts. Vogelnerds wie sie im Buche stehen. Diese konnten sich unter anderem darüber ereifern, dass der Kranich des Lufthansa-Logos eigentlich kein Kranich, sondern aufgrund der ausgestreckten Beine eindeutig als Reiher zu erkennen sei. Als das erste Sommergoldhähnchen des Jahres gesichtet wurde, flippten sie fast aus. (Scherze wie ‘außer Vögeln nicht im Kopf’ kann ich übrigens seitdem nicht mehr hören.) Aber auch witzige Geschichten, wie die, in der mein Vorgesetzter von einer angriffslustigen Möwe ausgeknockt wurde, waren dabei.
Einer dieser Professoren jedenfalls erzählte die traurige Geschichte, um die es hier eigentlich gehen sollte:
Zum Institut in Wilhelmshaven gehört auch die Vogelstation auf Helgoland. Dort hatte sich ein Jahr vor meinem Zivildienst zum ersten Mal ein Basstölpelpärchen eingefunden, um auf einem kargen Felsen zu brüten. Wer Ornithologen kennt, weiß, wie unglaublich wichtig ein solches Ereignis wie eine Erstbebrütung oder eine Erstentdeckung eines seltenen Vogels ist. Es war die wohl wichtigste Meldung des Jahres.
Basstölpel sind ca. ein Meter große Vögel, die auch recht schwer werden. Tatsächlich legte das Basstölpelweibchen ein Ei, aus dem auch ein gesundes Basstölpelküken schlüpfte und halbwegs flügge wurde. Tragischerweise aber rutsche das halbflügge Küken irgendwann aus und stürzte einige Meter in die Tiefe. Dabei brach es sich den noch unflüggen Flügel, jammerte und schrie und war eigentlich dem Tode geweiht. So ist das mit der Natur, einfach grausam.
Die bis dahin basstölpel-euphorischen Ornithologen bekamen einen großen Schreck. Wenn die Basstoelpel beim ersten Versuch Helgoland zu bebrüten derlei schlimme Erfahrungen machten, waren die Chancen für einen zweiten Versuch im folgenden Jahr natürlich gering. Folglich musste dieser Vogel unbedingt gerettet werden. Aber der Felsen war so steil, dass die Vogelfreunde trotz aller Anstrengungen nicht zum dem verletzten Basstölpeljungen gelangen konnten.
Also blieb nur eins: Man brauchte erfahrene Bergsteiger. Und so wurden drei Mann vom Bayerischen Alpenverein angeheuert, um den Vogel zu retten. Die Aktion gelang und nun hatten die Ornithologen einen verletzten Basstölpel in den Händen. Der gebrochene Flügel wurde geschient und der Vogel über den folgenden Winter aufgepäppelt. Mit viel Liebe und einigen Geldmitteln, soweit ich mich erinnere, kostete die ganze Aktion inklusive Alpenverein ca. 8.000 DM, erholte sich der Basstölpel. Der Flügel verheilte, das Frühjahr kam und eine Woche vor dem Frühstück, bei dem diese Geschichte erzählt wurde, sollte der Vogel wieder in die Freiheit entlassen werden.
Zu diesem Zweck wurde eigens ein Boot gemietet und die gesamte lokale Presse geladen. Der ganze Aufwand sollte sich ja gelohnt haben. Man fuhr also hinaus auf hohe See, wo eine Frau, die ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr ableistete, den Vogel freilassen sollte. Alle waren hoch gespannt.
Unglücklicherweise hatte diese Frau allerdings wohl zu viele Eröffnungsfeiern Olympischer Spiele und nie ‘Bernhard und Bianca’ gesehen. Sie nahm den Basstölpel, der wie gesagt recht groß ist, und warf in vor der versammelten Presse in die Luft in der Erwartung, dass dieser nun fröhlich davonfliegen würde. Aber so ein Basstölpel braucht Schwung zum Fliegen, viel Schwung. Da er diesen nicht hatte, flog der Basstölpel ein, zwei Meter in die Höhe, sank dann abrupt und schlug so unglücklich auf den Planken des Bootes auf, dass er sich das Genick brach und auf der Stelle tot war. Die einzigen Bilder, die in den lokalen Zeitungen gerduckt wurden, waren die der weinenden Freilasserin.
Erstaunlicher Weise waren Julia W. und ich die Einzigen die nach dieser Geschichte vor Lachen fast unterm Tisch lagen. Alle anderen schwiegen betroffen und schauten uns vorwurfsvoll an. Mein Gott, hätte es Julia nicht gegeben, ich wäre in Wilhelmshaven eingegangen.
Übrigens brüten inzwischen wieder einige Basstölpel-Paare auf Helgoland.