Kategorie 'Mellum'

allmähliche versandung

stefan am 28. Februar 2006 um 16:26 Uhr | link

allmähliche versandung

mellum 02 - Ein Seehund lernt fliegen

stefan am 6. Januar 2005 um 09:30 Uhr | link

Eine flauschige Erinnerung zum jungen Jahr:

Irgendwann gegen 14.00 Uhr, Julia W. und ich waren gerade beim Frühstück, stürmte unsere Naturschutzwärtin, die bereits seit Stunden die Insel umrundete, zur Tür herein und berichtete aufgeregt, dass im Norden der Insel ein Heuler angestrandet sei und heule.

Da sie nicht wusste, was tun, hatte sie ihn liegen lassen und fragte uns um Rat. Aber auch unsere Erfahrung, was man mit einem vereinsamten, kleinen Seehund macht, tendierte gegen Null und so riefen wir die Seehundstation Norddeich an. Von dieser erhielten wir die Aufforderung, den Seehund vorbei zu bringen. Leichter gesagt als getan. Auf unsere Bemerkung, dass es von unserer Insel keine Fähre zum Festland gäbe und wir eigentlich nicht von der Insel runter dürften, wurde uns mitgeteilt, dass man uns in 10 Minuten noch einmal anrufen würde. 10 Minuten später erfuhren wir, dass im Süden der Insel ein Seenotkreuzer der DGzRS auf uns warte, um den Seehund aufs Festland nach Neuharlingersiel zu bringen. Im Norden der Insel, wo der Seehund lag, könne der Kreuzer wegen der Sandbänke nicht nahe genug an die Insel heran. In Neuharlingersiel werde der Seehund von einem Mitarbeiter der Seehundstation übernommen.

An dieser Stelle vielleicht doch mal ne Karte, der besseren Verständlichkeit wegen:

Mellum

Wir mussten nun also 5 km in den Norden und dann samt Heuler dieselbe Strecke wieder zurück in den Süden. Aber wie transportiert man ein ca. 20 kg schweres Seehundbaby? Wir entschieden uns für eine kleine Ziehkarre, die normalerweise dazu genutzt wurde, unsere Nahrungsmittel von der Anlandungsstelle durch den Schlick zu unserem Häuschen zu schaffen.

Nach einem mühsamen Hinweg beim kläglichen Heuler angekommen, wickelten wir ihn, was gar nicht so einfach war, in eine sicherheitshalber ebenfalls mitgebrachte Decke und legten ihn in den Karren. Entgegen den Angaben unserer Naturschutzwärtin war das Seehundbaby aber alles andere als schwach und bewegungsunfähig. Während wir den nunmehr beladenen Karren durch den weichen Sand zerrten, befreite sich der Heuler immer wieder und hüpfte, seinem Namen alle Ehre machend, vom Wagen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, ihn doch dazu zu bewegen, im Wagen zu bleiben, gaben wir auf. So kamen wir nicht vorwärts und der Seenotkreuzer wartete ja bereits. Der Karrenplan war gescheitert.

Also blieb nur Tragen. Und an wem blieb das hängen? Natürlich am einzigen Mann in der Runde. Ähm, ich meine mich. Das Seehundbaby wurde daher wieder in die Decke eingepackt, mittlerweile hatten wir etwas Übung darin, und ich nahm ihn wie ein menschliches Baby auf den Arm und los ging’s. Glaubt mir, ein ca. 20 kg schweres zappelndes Bündel auf einer Strecke von 5km in glühender Hitze durch lockeren Sand zu tragen, ist kein Spaß. Aber nach einer ganzen Weile kamen wir endlich ziemlich erschöpft an der Südseite der Insel an, wo bereits die Wilhelm Kaisen auf uns wartete.

Da der Heuler aber unser erster Heuler war (später fanden wir noch vier weitere) und man nicht oft die Gelegenheit hat, Seehundbabys im Arm zu halten, wollten Julia und ich natürlich unbedingt ein Foto von uns mit dem Heuler haben. Wir holten die Kamera, ich gab Julia den Seehund und fotografierte sie. Danach bekam ich den Seehund zurück und Julia wollte einige Fotos von mir mit dem Seehund machen.

Ich postierte mich und schaute in die Kamera. Der Seehund aber schien jetzt gar keine Lust mehr zu haben, transportiert zu werden. Julia drückte den Auslöser und genau in dem Moment biss der Seehund zu. Er biss so richtig in meine linke Schulter. Dabei muss man wissen, dass Seehunde, wie niedlich sie auch aussehen, eben Raubtiere sind und auch ein solches Gebiss haben. Auf vieles war ich gefasst, als ich mich entschieden hatte, für mehr als ein halbes Jahr auf einen einsame Insel zu gehen, aber nicht darauf, von einem Seehund gebissen zu werden. Vor Schreck und Schmerz riss ich meine Arme hoch und mit meinen Armen den Seehund. Er entglitt mir, flog einen Meter durch die Luft und landete unsanft auf dem feuchten, harten Sand. Instinktiv drückte Julia ein weiteres Mal auf den Auslöser, so dass folgende Fotos zustande kamen:

fliegender Seehund

Ihm war bei dem Sturz wohl nicht viel passiert, ich dagegen hatte die nächsten 2 Wochen eine zuerst blaue, dann grüne und gelbe Schulter.

Wir brachten den Heuler nun zum Seenotkreuzer, durften mitfahren und betraten nach drei Monaten zum ersten Mal das Festland. In Neuharlingersiel übergaben wir den Seehund unter lautem Johlen der umstehenden Touristenkinder dem wartenden Mitarbeiter der Seehundstation. Dieser verabreichte dem Heuler zunächst mal Antibiotika und fragte uns dann, wie wir den Heuler nennen wollten, da der Finder eines Heulers diesem einen Namen geben darf. Aufgrund der Vorkommnisse, weil es in diesem Jahr ein Name mit dem Anfangsbuchstaben ‘S’ sein musste und weil damals im Radio ‘Rhythm is a Dancer’ rauf und runter gespielt wurde, kamen wir relativ schnell auf den Namen Snap.

Die Leute der DGzRS luden uns noch zu einem Eis ein und zurück ging’s für weitere vier Monate auf die Insel. Bei allen späteren Heulerfunden durften wir dann leider nicht mehr mit ans Festland.

Mellum 01

stefan am 23. November 2004 um 08:37 Uhr | link

Da ich kürzlich einige alte Fotos scannte und Herr Lewis meinte, ich solle die Geschichte unbedingt mal posten, erscheint hier eine Erinnerung aus meiner Zivildienstzeit:

die möwe jonathanIch leistete meinen Zivildienst beim Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven ab. Der Dienst bestand im Winterhalbjahr aus der Auswertung biologischer Proben, die auf der Insel Mellum gesammelt worden waren. Das Sommerhalbjahr verbrachte ich dann auf Mellum selbst mit Vogelbeobachtungen, dem Sammeln ebensolcher Proben, die mein Nachfolger im folgenden Winter auszuwerten hatte, und, wie man links sieht, mit vielem anderen.

Das Winterhalbjahr war dementsprechend stinkelangweilig. Die Trockenmassebestimmung des Wattbodens oder irgendwelcher Schlickwürmer rockt nun wirklich nicht. Dabei war meine Aufgabe noch nicht einmal die eigentliche Trockenmassebestimmung. Meine Aufgabe bestand darin, Aluminiumfolie zu kleinen Tütchen zu falten, in denen der Wattboden und die Schlickwürmer in den Trockenofen geschoben wurden. Die Trockenmassebestimmung wurde dann von Julia W. vorgenommen, einer witzigen Wilhelmshavener Punkerin, die beim Institut ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr versah und sich genauso langweilte wie ich. Glaubt mir, das Falten von Alu-Tütchen zur Trockenmassebestimmung von Wattboden oder Schlickwürmern rockt noch weniger als die Trockenmassebestimmung selbst.

Jeder Tag aber hatte einen Höhepunkt: Das gemeinsame Frühstück aller Institutsangestellten. Mit dabei auch immer die drei Professoren und Ornithologen des Instituts. Vogelnerds wie sie im Buche stehen. Diese konnten sich unter anderem darüber ereifern, dass der Kranich des Lufthansa-Logos eigentlich kein Kranich, sondern aufgrund der ausgestreckten Beine eindeutig als Reiher zu erkennen sei. Als das erste Sommergoldhähnchen des Jahres gesichtet wurde, flippten sie fast aus. (Scherze wie ‘außer Vögeln nicht im Kopf’ kann ich übrigens seitdem nicht mehr hören.) Aber auch witzige Geschichten, wie die, in der mein Vorgesetzter von einer angriffslustigen Möwe ausgeknockt wurde, waren dabei.

Einer dieser Professoren jedenfalls erzählte die traurige Geschichte, um die es hier eigentlich gehen sollte:

Zum Institut in Wilhelmshaven gehört auch die Vogelstation auf Helgoland. Dort hatte sich ein Jahr vor meinem Zivildienst zum ersten Mal ein Basstölpelpärchen eingefunden, um auf einem kargen Felsen zu brüten. Wer Ornithologen kennt, weiß, wie unglaublich wichtig ein solches Ereignis wie eine Erstbebrütung oder eine Erstentdeckung eines seltenen Vogels ist. Es war die wohl wichtigste Meldung des Jahres.

basstölpelBasstölpel sind ca. ein Meter große Vögel, die auch recht schwer werden. Tatsächlich legte das Basstölpelweibchen ein Ei, aus dem auch ein gesundes Basstölpelküken schlüpfte und halbwegs flügge wurde. Tragischerweise aber rutsche das halbflügge Küken irgendwann aus und stürzte einige Meter in die Tiefe. Dabei brach es sich den noch unflüggen Flügel, jammerte und schrie und war eigentlich dem Tode geweiht. So ist das mit der Natur, einfach grausam.

Die bis dahin basstölpel-euphorischen Ornithologen bekamen einen großen Schreck. Wenn die Basstoelpel beim ersten Versuch Helgoland zu bebrüten derlei schlimme Erfahrungen machten, waren die Chancen für einen zweiten Versuch im folgenden Jahr natürlich gering. Folglich musste dieser Vogel unbedingt gerettet werden. Aber der Felsen war so steil, dass die Vogelfreunde trotz aller Anstrengungen nicht zum dem verletzten Basstölpeljungen gelangen konnten.

Also blieb nur eins: Man brauchte erfahrene Bergsteiger. Und so wurden drei Mann vom Bayerischen Alpenverein angeheuert, um den Vogel zu retten. Die Aktion gelang und nun hatten die Ornithologen einen verletzten Basstölpel in den Händen. Der gebrochene Flügel wurde geschient und der Vogel über den folgenden Winter aufgepäppelt. Mit viel Liebe und einigen Geldmitteln, soweit ich mich erinnere, kostete die ganze Aktion inklusive Alpenverein ca. 8.000 DM, erholte sich der Basstölpel. Der Flügel verheilte, das Frühjahr kam und eine Woche vor dem Frühstück, bei dem diese Geschichte erzählt wurde, sollte der Vogel wieder in die Freiheit entlassen werden.

Zu diesem Zweck wurde eigens ein Boot gemietet und die gesamte lokale Presse geladen. Der ganze Aufwand sollte sich ja gelohnt haben. Man fuhr also hinaus auf hohe See, wo eine Frau, die ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr ableistete, den Vogel freilassen sollte. Alle waren hoch gespannt.

Unglücklicherweise hatte diese Frau allerdings wohl zu viele Eröffnungsfeiern Olympischer Spiele und nie ‘Bernhard und Bianca’ gesehen. Sie nahm den Basstölpel, der wie gesagt recht groß ist, und warf in vor der versammelten Presse in die Luft in der Erwartung, dass dieser nun fröhlich davonfliegen würde. Aber so ein Basstölpel braucht Schwung zum Fliegen, viel Schwung. Da er diesen nicht hatte, flog der Basstölpel ein, zwei Meter in die Höhe, sank dann abrupt und schlug so unglücklich auf den Planken des Bootes auf, dass er sich das Genick brach und auf der Stelle tot war. Die einzigen Bilder, die in den lokalen Zeitungen gerduckt wurden, waren die der weinenden Freilasserin.

Erstaunlicher Weise waren Julia W. und ich die Einzigen die nach dieser Geschichte vor Lachen fast unterm Tisch lagen. Alle anderen schwiegen betroffen und schauten uns vorwurfsvoll an. Mein Gott, hätte es Julia nicht gegeben, ich wäre in Wilhelmshaven eingegangen.

Übrigens brüten inzwischen wieder einige Basstölpel-Paare auf Helgoland.


akzent