Achtung, Achtung, Tocotronic total überschätzt
bodo am 11. Juli 2007 um 12:54 Uhr | linkAn sich nervt es ja schon, wenn man sich (so wie ich gerade) einfach nur deshalb genötigt fühlt, etwas über ein neues Album zu schreiben, weil es so ziemlich jeder tut. Verstärkt wird dieses Unbehagen am Drang zum Schreiben nicht unwesentlich durch den Reflex, alles verdächtig zu finden, was alle ganz toll finden. Man hat das Gefühl, der Leser müsse denken, man komme sich wie der große intellektuelle Nöhler vor, man fühle sich wie der Käs’ nur weil man stinkt (vgl. Matussek, nur ohne Unbehagen): ein nerviges Klischee und tendenziell moralisch noch dazu. Was soll’s, ich versuch’s trotzdem.
Das Album “Kapitulation” von Tocotronic ist gut, eingängige Songs, zum Teil regelrechte Ohrwürmer. Das war’s zum Album, das nämlich über die Ebene der schmeichelnden Weisen hinaus nicht mit mir spricht.
Ansonsten geht das Projekt Tocotronic bezüglich eines entscheidenden Aspekts ganz furios baden, der von den Musikjournalien allein schon deshalb unterschlagen werden muss, weil sie sich damit selbst grundsätzlich für überflüssig erklären müssten: Tocotronic scheitern an ihrer Beziehung zu Kulturindustrie.
Der folgende Interview-Ausschnitt stammt aus einem Interview mit Dirk von Lowtzow, das in der Jungle World vom 27.Juni 2007 erschien:
“Es gibt eigentlich kaum etwas, das ich schrecklicher finde als dieses ewige Insistieren auf Authentizität. Dabei wird oft übersehen, dass es eben überhaupt kein Gegengift zur herrschenden Gesellschaft ist, dieses besonders Ehrliche, sondern dass es von der Macht nur gewünscht sein kann, dass alle immer ganz besonders ehrlich, ganz besonders authentisch sind. Deshalb finde ich das als Gefühl nicht besonders interessant. Uns ging es schon von Anfang an als Band darum, Kunst zu machen, und nicht darum, authentische Gefühle auszudrücken.”
Hmmmm, bisschen kryptisch, das Ganze. Mal ein paar Brocken hingeworfen, aha Foucault hat er also wohl angelesen, Horkheimer/Adorno wahrscheinlich auch nicht völlig ignoriert, aber so richtig klar wird hier nicht, wie das mit dem Verhältnis von “der Macht” und dem “Ehrlichen” so läuft: das kann man also unter dem Subtext “Ich hab viel gelesen und dann auch noch das Richtige” verbuchen (ehrlich gesagt glaube ich, dass die Liedtexte der Tocos meist auch nicht von viel mehr handeln). Andererseits scheint aber auch wieder eine durchaus sympathische Haltung durch: der junge Mann (obwohl: der ist ja noch älter als ich…) hat seine Hausaufgaben gemacht, er hatte ja auch ausgiebig Zeit, Erfahrungen mit Kulturindustrie zu machen und zu begrübeln und trägt, wie nicht anders zu erwarten war, in dieser Hinsicht grundsätzliche Skepsis zu Markte.
Ich will den Buben keinesfalls auf Biegen und Brechen eine “unkritische” Haltung unterjubeln. Lowtzow und seine Band scheitern aber darum, weil ihnen eine reflexive Gegeninszenierung ihrer Selbst nicht gelingt. Das mag vielleicht einer gewissen kreativen Ratlosigkeit, Naivität der Band (der sich aus einem ungebrochenen Glauben an die Widerständigkeit “der Kunst” zu speisen scheint) oder aber der Totalität kulturindustrieller Imperative, allem voran repressiver Toleranz geschuldet sein (die Totalität ist eher unwahrscheinlich). Vielleicht finden es aber die Jungs am Ende doch auch gar nicht sooo übel, das Leben als Rockstar, wer weiß…
Ich möchte das mal so zusammenfassen: Widerstand innerhalb kulturindustrieller Produktionsbedingungen erfordert konsequente Reflexivität und harte Arbeit am Gegenstand, wenn man die nicht leistet, wird man geschluckt. Das ist mit Tocotronic passiert, weil sie nicht begriffen haben, dass die Behauptung, man habe was gegen Authentizität in einem öffentlichen Interview in einem poplinken Zentralorgan nichts weiter ist als die Tradierung des Mythos von der Authentizität. Zu sagen: ich finde das doof, heißt es zu praktizieren, punkt, aus, ferddisch. Da müsste man sich dem ganzen Zirkus schon komplett verweigern, Miles Davis hat das zum Beispiel vorgeführt. Man muss es nicht wie Davis machen, aber man muss scharf nachdenken und sich dann was Tolles einfallen lassen. Das haben sich die Tocos erspart und betreiben daher eine Inszenierung von den “ehrlichen Jungs von nebenan”, wie sie “ehrlicher” nicht sein könnten. Schade, sie könnten nämlich auch einfach nur nette Mukke machen…